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05.03.2015 10:47

#NewProfessor: Kai Niebert - der erste Inhaber des Lehrstuhls "Didaktik der Naturwissenschaften"

Kai Niebert forscht bereits seit 2014 am Institut für Erziehungswissenschaften an der PhF und ist Ende Jahr zum Doppelprofessor mit der MNF ernannt worden. Niebert, der Biologie, Chemie und Politik studiert hat, untersucht heute die Didaktik der Naturwissenschaften und wird sich und sein Wissen auch beim Science Lab UZH einbringen.


Prof. Kai Niebert ist einer der Gründer des Anthropocene Learning Lab.

Herr Prof. Niebert, Sie sind Inhaber des Lehrstuhls «Didaktik der Naturwissenschaften und der Nachhaltigkeit». Weshalb braucht es eine Didaktik der Naturwissenschaften, und wie unterscheidet sich die Didaktik der Naturwissenschaften von der Didaktik der übrigen Schulfächer?

Kai Niebert
Naturwissenschaften prägen unseren Alltag: Egal ob die nanobeschichtete Outdoorjacke, die Entscheidung für oder gegen Nuklearenergie oder auch der fortschreitende Klimawandel. Überall begegnen uns naturwissenschaftliche Phänomene. Nur wird ihre Bedeutung im Alltag in der Regel nicht erkannt. Auch spielt unser naturwissenschaftliches Wissen in der Regel keine Rolle in unseren Entscheidungen. 

Naturwissenschaftlicher Unterricht soll dazu beitragen, sich der Chancen und Risiken naturwissenschaftlich-technischer Entwicklungen bewusst zu werden sowie Verantwortung für sich und die Gesellschaft zu übernehmen. Als Naturwissenschaftsdidaktiker_innen untersuchen wir empirisch, wie Lehrpersonen erfolgreich bei der Vermittlung von Naturwissenschaften unterstützt werden können. 

Naturwissenschaften hängen oft das Bild an, abstrakt und schwer verständlich zu sein. Zu einem gewissen Maß stimmt das auch, denn sie begnügt sich nicht mit einfachen Erklärungen, sondern sucht jenseits unserer sinnlich wahrnehmbaren Welt, im Mikrokosmos und dem Makrokosmos nach Erklärungen. Laien zu helfen, diese Welt der Modelle, Theorien, Formeln und Erklärungen mit den Phänomenen der Lebenswelt zusammen zubringen ist es, was uns antreibt.

Sie haben sich zum Gymnasiallehrer für die Fächer Biologie, Chemie und Politik ausgebildet und anschliessend promoviert. Weshalb haben Sie sich gegen den Lehrerberuf entschieden? 

Kai Niebert: Um es mit Richard Feynman auszudrücken: The world looks so different after learning science. Mich haben die Naturwissenschaften immer fasziniert. Die Welt durch die Augen der Chemie, der Biologie oder der Physik zu sehen, eröffnete mir einen neuen Blick auf meine Umwelt: Plötzlich spielen nicht mehr einzelne Prozesse wie die Atmung, die Fotosynthese oder die Kalkbindung eine Rolle, sondern man fängt an die Teilchen auf ihrem Weg durch unseren Kosmos zu verfolgen. So faszinierend wie die Naturwissenschaften sind, so spannend fand ich es auch immer herauszufinden, wie wir sie besser verstehbar machen können. 

Mein Doktorvater Harald Gropengießer hat mich schon früh in meinem Studium an seinen Forschungen über Alltagsvorstellungen zu naturwissenschaftlichen Phänomenen beteiligt. So konnte ich schon früh nicht nur lernen, was Thermodynamik ist, sondern auch warum sie so oft missverstanden wird. 

Mittlerweile haben wir belastbare Evidenz aus den Neurowissenschaften zu dem, was bereits Philosophen aus dem 19. Jahrhundert wussten: Das wichtigste für die Gestaltung guten Unterrichts, ist ihn auf den Vorstellungen des Lernenden aufzubauen. Eine systematische Analyse von Vorstellungen 

Als Hochschullehrer habe ich nun die einmalige Chance, mit meinem Team diese Forschungen fortzuführen, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen mit den Ergebnissen unserer Vorstellungsforschung zu unterstützen und gleichzeitig angehende Lehrpersonen dafür zu sensibilisieren Unterricht durch die Augen ihrer Schüler zu betrachten. 

Der MINT-Fachkräftemangel 2030 ist ein grosses Thema in ganz Europa: Welche Anstrengungen sind nötig, damit sich mehr Schülerinnen und Schüler für ein naturwissenschaftliches Studium entscheiden?

Kai Niebert: Wirft man einen Blick auf die Studierenden naturwissenschaftlicher Fächer an den Schweizer Universitäten fällt auf, dass rund 60 Prozent von ihnen bereits im Gymnasium ein Schwerpunktfach im Bereich MINT besucht haben. Da schweizweit nur 20 bis 30 Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten diesen Schwerpunkt wählen, wird also der Zugang zu MINT-Studienfächern schon durch die Schwerpunktfachwahl an den Gymnasien beschränkt. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein MINT-Studium gewählt wird, signifikant grösser ist, wenn bereits im Gymnasium ein Schwerpunkt MINT gewählt wurde. Um die Anzahl der MINT-Studierenden an den Hochschulen zu erhöhen, müsste vor allem die Anzahl Schülerinnen und Schüler mit einem MINT-Schwerpunktfach erhöht werden. Dies zu erreichen benötigt Engagement auf verschiedenen Ebenen: Zum Einen sind im Kanton Zürich nach wie vor die (alt)sprachlichen Fächer in den Gymnasien sehr dominant vertreten. Diese können in der Persönlichkeitsentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Wenn aber die Empirie zeigt, dass es vor allem die Wahl naturwissenschaftlicher Fächer ist, die die Wahl eines naturwissenschaftlichen Berufswunsches steigert, müssen wir hier das Angebot verbessern – quantitativ und qualitativ. 

Während ersteres wichtiger politischer Entscheidungen bedarf, kann zweites insbesondere durch die Weiterentwicklung des Unterrichts geschehen: Wir müssen hier insbesondere die Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen in den Blick nehmen. Auch hier gibt es Evidenz: Eine hochwertige fachliche und fachdidaktische Ausbildung sind – neben der pädagogischen Qualifikation –  Voraussetzung für ausgezeichneten Unterricht. Hier sehe ich eine große Chance für die Universität Zürich: Mit einer engen Kooperation zwischen Naturwissenschaft und Naturwissenschaftsdidaktik können wir nun Aus- und Weiterbildung aus einer Hand bieten.

Ihr Lehrstuhl ist am Institut für Erziehungswissenschaften, d.h. an der Philosophischen Fakultät angesiedelt. Seit Ende 2014 sind Sie Doppelprofessor mit der MNF: Wie und wo werden Sie sich an der MNF einbringen? Gibt es Zusammenarbeiten, an denen Sie besonders interessiert wären?

Kai Niebert: Die Vermittlung – nicht nur naturwissenschaftlicher – Konzepte ist nur dann nachhaltig, wenn sie an das Vorwissen der Lernenden anknüpft. Das gilt nicht nur für Schüler, sondern für uns alle – auch für unsere Studierenden. 

Wir haben hier in unserem Team Kompetenzen in der Analyse von Vorstellungen zu naturwissenschaftlichen Phänomenen und der darauf aufbauenden Gestaltung von Lehr-Lernprozessen. Ich bin sicher, dass wir einen Beitrag für die Weiterentwicklung der Lehre an der MNF leisten können, wenn wir uns mit diesen Kompetenzen nicht nur auf Schule beschränken, sondern insbesondere auch die Hochschullehre in den Blick nehmen. Die Entwicklung einer evidenzbasierten Lehre an der MNF der Universität Zürich wäre sicher ein spannendes gemeinsames Projekt von Fachwissenschaft und Fachdidaktik. 

Darüber hinaus können wir heute theoretisch belegen, was viele Lehrende bereits erfahren haben: Naturwissenschaftliche Konzepte lassen sich dann besonders lernwirksam vermitteln, wenn sie in für den Lernenden relevanten Kontexten vermittelt werden. Nimmt man die Herausforderungen ernst, die Klimawandel und Co uns liefern, wird die Auswahl dieser Kontexte umso relevanter. Derzeit entwickeln wir mit Kolleginnen aus der MNF beispielsweise einen Kurs Responsibility in University Teaching, in dem wir nachhaltigkeitsrelevante Aspekte stärker in die Lehre der UZH implementieren wollen. Wir erhoffen uns so, das Interesse an Naturwissenschaften und auch ihre Verantwortung für gesellschaftliche Entwicklungen aufzuzeigen.  

Das Interesse an mathematischen und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen sollte möglichst früh, d.h. in der Volksschule geweckt werden. Arbeiten Sie mit der PHZ zusammen und falls ja, wie?

Kai Niebert: Wir entdecken bei Schülerinnen und Schülern tatsächlich eine deutliche Abnahme des Interesses am naturwissenschaftlichen Unterricht gegen Ende der Primarschulzeit. Aus naturwissenschaftsdidaktischer Perspektive stellt sich daher die Frage, wie das Interesse der Schu¨lerinnen und Schüler an naturwissenschaftlichen Themen in der Sekundarstufe aufrechterhalten werden kann. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der PHZH und der ETHZ führen wir einen Master Fachdidaktik Naturwissenschaften durch, in dem wir Lehrpersonen und Dozierende an den PHs weiterqualifizieren. Wir wollen so Kompetenzen fu¨r naturwissenschaftsdidaktische Forschung, Lehre und Weiterbildung vermitteln. Wir erhoffen uns so einen breiten Multiplikatoreffekt, um Lehrende für eine ausgezeichnete fachdidaktische Lehre erreichen zu können. 

Sie erforschen auch die Didaktik der Nachhaltigkeit und haben kürzlich das Anthropcene Learning Lab (ALL) in Davos mitgegründet: Wo und wie werden die Erkenntnisse des ALL in die Gesellschaft einfliessen?

Kai Niebert: Der Mensch hat die Erde verändert – im Guten wie im Schlechten. Die Veränderung des Erdsystems durch den Menschen hat nun aber ein Ausmaß erreicht, bei dem plötzliche globale Veränderungen der Umwelt nicht mehr auszuschließen sind. Die Kolleginnen und Kollegen des Stockholm Resilience Centre haben klar gezeigt, dass wir innerhalb bestimmter der Grenzen des Planeten agieren müssen, um weiter sicher leben zu können. In vier Bereichen – beim Klimawandel, beim Einsatz von Stickstoff- und Phorsphordünger und beim Artensterben – haben wir die Grenzen schon überschritten. Das ist der Grund, warum der Nobelpreisträger Paul Crutzen feststellte, dass wir die Warmzeit – das Holozän – hinter uns gelassen haben und nun in der Menschenzeit, im Anthropozän, angekommen sind.

Im Anthropocene Learning Lab haben sich Bildungsforscher verschiedener Disziplinen zusammengeschlossen, um herauszufinden, wie wir die Herausforderungen des Anthropozäns vermitteln können. Immer wieder wird Bildung als der zentrale Schlüssel zu einer nachhaltigen Gesellschaft bezeichnet. Dazu wollen wir ganz konkrete Vorgehensweisen vermitteln: Wie kann ich den Klimawandel, die Energiewende, die gesellschaftliche Transformation verstehbar und umsetzbar machen? Uns geht es nicht nur darum, herauszufinden, warum Menschen die Dinge verstehen oder nicht verstehen, sondern auch, wie sie diese besser verstehen können. Wenn man so will, sind wir Wissenschaftler und Ingenieure zugleich.

Was wünschen Sie sich und dem ALL für die Zukunft?

Kai Niebert: Das Anthropozän ist ein sehr wertvolles Konzept. Es fasst – im Gegensatz zum Klimawandel oder zur Globalisierung – die zahllosen rasanten Veränderungen auf der Erde – vom Plastikplankton bis zum Artensterben – zusammen und macht sie verstehbar. Nur wenn wir die Zusammenhänge sehen, kann jeder einzelne die Verantwortung annehmen, die das Anthropozän für uns bedeutet.

Entweder wird das Anthropozän ein Zeitalter des Kampfes um Wohlstand im Kontra zur Natur – oder es wird eines der Nachhaltigkeit, in dem wir uns mit unserer Umwelt und den Ressourcen der Erde arrangieren. Unser Team aus Bildungsforschern, Naturwissenschaftsdidaktikern und Nachhaltigkeitsforschern will dazu einen Beitrag leisten, um die Herausforderungen des Anthropozäns zu meistern. Dabei geht es nicht darum, Bildung so zu gestalten, dass wir jeder Herausforderung gewachsen sind. Vielmehr müssen wir Menschen in die Lage versetzen, mit den Herausforderungen zu wachsen. 


Interview: Dr. Calista Fischer, Kommunikationsbeauftragte MNF


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